Sohn ist nicht Sohn

Ein anderes Archiv, das ich auf Empfehlung des Bundesarchivs angeschrieben hatte, um mehr über Familie Lewkowitz in der „Residentenliste“ herauszufinden, hatte zeitgleich den selben Gedanken: Sohn ist nicht gleich Sohn. Ein jüdisches Kind, das im Kinderheim und bei Pflegeeltern überlebt hat, war möglicherweise dort abgegeben worden, weil die Mutter es loswerden wollte.

Wiederum eine Archivarin (gab es männliche Archivare in Berlin?) teilte mir mit, es existiere im Brandenburgischen Landesarchiv eine Akte zu Ursulas Mutter Sara, im Bestand des Oberfinanzpräsidenten Berlin. Die Oberfinanzpräsidien, kurz OFP, waren diejenigen NS-Behörden, die die finanzielle Ausbeutung der Juden mit deutscher Gründlichkeit erledigten. Leider könne mir die Einsicht in das ca. 200 Seiten starke Konvolut aus den genannten Gründen nicht gestattet werden. Man könne nicht wissen, ob die Mutter wolle, dass… usw.

Vier Oberbetten und ein Klavier

Doch so wie ich gelernt hatte, dass deutsche und amerikanische Archive fundamental unterschiedlich waren, so lernte ich nun, dass auch jedes deutsche Archiv nicht nur nach den bestehenden Archivgesetzen, sondern nach ganz eigenen, schwer durchschaubaren Regeln arbeitet. Nachdem ich Einspruch erhoben, den Fall nochmals erläutert, sämtliche mögliche Nachweise erbracht sowie einen Monat geduldig gewartet hatte, lag eines Tages die dicke Chronik der finanziellen Ausplünderung der Sara Lewkowitz in ihrer ganzen Monstrosität auf meinem Tisch. Auf Gebühren und die angekündigten Kosten von 50 Cent pro kopierter Seite hatte man verzichtet.

OFP-Akten Richard und Sara Kellermann, Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Rep. 36 A (Titelseite)
OFP-Akte Kellermann, Brandenburgisches Landeshauptarchiv

Aus ihr erfuhr ich nicht nur, dass Sara Lewkowitz vier Oberbetten und ein Klavier besessen hatte, und zu welchen Preis der Auktionator diese zu Gunsten des Deutschen Reiches nach der „Evakuierung“ ihrer Vorbesitzerin „nach Osten“ versteigert hatte, sondern auch, dass Sara nicht allein deportiert worden war. Richard „Israel“ Kellermann, ihr zweiter Ehemann, „jüdisch versippt“ und evangelisch getauft, war mit ihr gemeinsam von der Gestapo verhaftet, verhört, ausgeplündert und auf die Reise nach Osten geschickt worden.

Laut der Gedenkbuchdatenbank des Bundesarchivs wurden Sara und ihr Mann Richard am 14. April 1942 von Berlin aus ins Warschauer Ghetto deportiert. Mit Datum vom 12. April 1942 listeten Richard und Sara Kellermann für die Gestapo feinsäuberlich ihr Vermögen, ihren Hausrat und sonstige Wertgegenstände auf, damit diese geordnet und vollständig dem Deutschen Reich zufallen konnten.

(14/x)

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