Yigal!, rief Peter, als das Bild eines circa zehnjährigen Jungen aus dem Fotobeutel fiel. Wir kamen auf dem selben Schiff zusammen von Marseilles. Wie Max und Moritz waren wir, nur Flausen im Kopf.
Er war als Kind in einem Lager gewesen, aber erinnerte sich an nichts mehr. Irgendwann Jahre später fand ihn seine Oma in Australien über das Rote Kreuz. Das war alles was er an Verwandten noch hatte. Immerhin mehr als ich!

Kaum waren wir im Kibbuz angekommen, bekamen wir gleich neue Namen. Ordentliche hebräische Namen. Die haben sie uns verpasst ohne uns überhaupt zu fragen. Peter und Peter wurden Yiftach und Yigal. Das ist aus der Bibel – er wird aufmachen (Yiftach) und erlösen (Yigal) das Land.
Max und Moritz hätte besser gepasst. Oder Struwwelpeters!
Ich kam dann zu Otto Schnitzler und Yigal zu einer Lehrerin des Kibbuz, Esther Katzenelson. Sie stammte aus einer berühmten zionistischen Familie und hatte Haare auf den Zähnen. Bei ihr war es nicht so schön wie bei Otto. Also war Yigal immer mit bei Otto.
Wir hingen zusammen wie die Kletten und machten viel Unsinn. Otto interessierte sich für Archäologie, er war sowieso ein heimlicher Gelehrter. Er sammelte Kanonenkugeln von Napoleon, als der Palästina belagerte. Die ließen wir einmal auf die Stufen vor Ottos Bude fallen – er hauste in einer Art Bauwagen auf Stelzen – und BAM! waren natürlich die Stufen zerkracht, so schwer wie die waren. Otto hat gelacht und geschimpft gleichzeitig. Solche Bengel waren wir.
Was ist aus Yigal geworden? – fragte ich. Ja weißt Du, sagte Peter, wir beide waren die besten Tänzer im Kibbuz. So habe ich Sara kennengelernt! Im Kibbuz gab es oft Feste und da kam sie mit einer Freundin von außerhalb hin. Zack, schnappte ich sie mir zum ersten Tanz. Da waren wir 17. Yigal mußte ihre Freundin bespaßen, damit ich den Rest des Abends mit Sara tanzen konnte. Tja, wenig später hab ich sie geheiratet.
Jedenfalls war Yigal ein wahnsinnig guter Tänzer. Er meinte es ernst. Also bewarb er sich bei der Ballet-Compagnie von Anna Sokolow, die damals in Israel arbeitete und auf Talentsuche war. Und was soll man sagen, er wurde genommen! So wurde er Tänzer bei Anna Sokolow. Schließlich ging er nach Amerika zur Martha Graham Dance Company als professioneller Ballettänzer.
Danach haben wir uns irgendwie aus den Augen verloren. Ich würde furchtbar gerne wissen, was er heute treibt. Wenn ich einen einzigen Menschen aus dem Kibbuz wiedertreffen möchte, so ist das Yigal.
Das, dachte ich, ist in Zeiten des Internets nicht schwer, und tippte Yigals diverse Namen – Peter Goldmann, Yigal Paz, Peter Paz – in eine Suchmaschine ein:
PAZ-Peter. Photographer. 64. He has died in Nice, France, after a lengthy illness.
– Obituary, The New York Times, 28. Oktober 2001
Die Nachricht traf. Sein Alter Ego, den anderen Peter, konnte er nicht mehr wiedersehen. Dann fand ich heraus, dass Yigal Memoiren hinterlassen hatte. Ich bestellte sie und fing an zu lesen.
Das erste Kapitel handelte von – Peter. Dem anderen Peter. (27/x).

PETER. Israel, 1945
He was tall, transparently thin, with mournful dark eyes hopelessly crossed. He used to run into things, twitter, stumble around, and finally crash into one thing or another. It made everyone laugh. It never failed. The more we laughed, the more he did it, the more he did it, the better he got at it, the better he got, the more attention he drew to himself. At the beginning, there was talk about an operation to fix his eyes, but he incurred the wrath of our teacher, to whom his act was anything but a cause for laughter, so much so that he was expelled before the operation was done. As I look at him from the distance of time, his image stands like a Giacometti’s Don Quixote against the horizon. The longer I look, the taller he is.
Peter Paz, The Forgetting of Being

Alberto Giacometti-Stiftung, CC BY-SA 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0, via Wikimedia Commons