Während ich vom Bundesarchiv den ersten Meilenstein per Post bekam, war Dani nicht untätig. Er hatte seine Fühler nach Posen ausgestreckt, noch bevor klar war, ob die englische Ursula tatsächlich die Gesuchte war. Ein polnischer Historiker besorgte ihm aus dem Posener Staatsarchiv eine Kopie der Einwohnermeldekarte einer Familie Lewkowitz – und BINGO.
Die handschriftlichen Einträge, die ich mit viel Geduld und Spucke entzifferte, gaben Gewissheit, dass die Frau, die mit Ursula zusammen in der Volkszählung erfasst worden war, tatsächlich ihre Mutter war. Plötzlich lag da die ganze Familie ausgebreitet – Vater Simon, Mutter Sara, und Ursulas zehn Jahre älterer Bruder Max. Selbst die Eltern des Vaters waren genannt, Mendel und Rosalie, geborene Posener, sowie ein weiterer Bruder, der nur einen Tag gelebt hatte. 1921 war die Familie nach Berlin gezogen, vielleicht weil Posen nach dem Ersten Weltkrieg polnisch wurde. Der Vater Simon hatte in Posen ein Schuhgeschäft gehabt und seine Frau Sara 1883 geheiratet, in ihrem Heimatort Miloslaw.

Simon, Sara, Max Lewkowitz: kein Eintrag im deutschen Gedenkbuch, keiner bei Yad Vashem oder in anderen Datenbanken – nichts. Konnte die ganze Familie den Holocaust überlebt haben? Doch Sara hatte ich gerade im Berliner Adressbuch als „Witwe“ gefunden, ihr Mann Simon musste also vor 1943 verstorben sein. So fand ich schließlich, Jahr um Jahr rückwärts blätternd, auch Simon Lewkowitz und sein Berliner Schuhgeschäft, das ab 1921 im Adressbuch stand. Ab 1932 war nur noch das Geschäft gelistet, 1937 hörten auch diese Einträge auf. Seine Frau Sara war allein 1935 im Namensverzeichnis zu finden: “Ww., W 15 Kurfürstendamm”. Im nach Straßen geordneten Teil tauchte sie erst ab 1939, doch dann durchgängig bis 1943 als “Lewkowitz, S., Ww.” auf dem Kudamm auf. Auf diese Weise ließ sich Simons Sterbedatum auf die Jahre zwischen 1932 und 1935 einkreisen.
Bis vor kurzem hatte Peter von seiner Mutter nicht mehr als deren Namen gewusst. Nun hatte er bereits Großeltern und Onkel. Vermutlich alle tot, aber: nunja.
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