Die unbekannte Frau

Zusammen mit der Geburtsurkunde von 1938 schickte Dani ein Dokument aus Großbritannien. Es bescheinigte Ursula Lewkowitz, geboren 1919 in Posen (Polen), im Dezember 1939 im Vereinigten Königreich von der Internierung als feindliche Ausländerin („enemy alien“) ausgenommen worden zu sein. Dass sie Jüdin war und aus Deutschland entkommen, erkannte man am zweiten Vornamen Sara, eine Zwangsmaßnahme der Nazis aus dem Jahre 1938.

Die entsprechende Verordnung besagte, dass Juden im Sinne der NS-Gesetze nur „typisch jüdische“ Vornamen haben durften, die in einer Liste festgelegt wurden – Vornamen, die sich Nazis zeitgenössisch als „jüdisch“ vorstellten. Wer nicht schon so hieß, musste Israel bzw. Sara als zweiten Vornamen annehmen. Das entsprechende Gesetz erarbeitete übrigens Hans Globke, später Chef des Bundeskanzleramts unter Konrad Adenauer.

UK Enemy Alien - Exemption (historical document)
Enemy Alien in UK

War diese Frau Peters Mutter? Dani wusste es nicht, er hatte das Dokument in einer britischen Datenbank entdeckt. Auf der Berliner Hakenkreuz-Geburtsurkunde standen nur Name und Familienstand der Mutter.

Die für ihre Gründlichkeit bekannten Deutschen registrierten bei der Geburt eines Kindes nicht einmal das Alter der Mutter – Ämter und Behörden, die wenig später ausgefeilte Methoden der Volkszählung und Datenerfassung entwickelten, um keinen jüdischen oder auch nur jüdischstämmigen Menschen durch die Maschen schlüpfen zu lassen.

So gab es keinen Anhaltspunkt, ob die Mutter mit der in Großbritannien „von Internierung verschonten“ Ursula identisch war. Letztlich wussten wir über sie nichts außer ihrem Namen.

Krieg bei Pflegeeltern

Aus den gescannten Briefen und Dokumenten, die nach und nach ankamen, konnte ich schließlich die groben Umrisse der Geschichte rekonstruieren. Peter war 1938 in Berlin als unehelicher Sohn der jüdischen Ursula Lewkowitz geboren wurden. Bis auf ihren Namen wusste er bis heute nichts über diese Frau. Ein jüdisches Ehepaar hatte ihn aus einem Kinderheim geholt, nachdem ihre beiden eigenen Töchter mit einem Kindertransport ins sichere England gelangt waren. Irgendwie hatte diese Familie es geschafft, den ganzen Krieg hindurch mitten in Berlin zu leben, mitsamt jüdischem Pflegekind. Anfang 1943 bekamen sie sogar noch ein weiteres eigenes Kind. Nach Angaben seiner Frau erinnerte Peter sich, dass ein befreundeter Gestapo-Offizier sie geschützt habe.

Nach dem Krieg kam Peter nach Palästina und wuchs in einem Kibbuz in der Nähe von Haifa auf. Er wurde ein echter Israeli, heiratete, bekam drei Kinder und arbeitete in der israelischen Luftfahrtindustrie. Erst Anfang der 1980er Jahre traf er seine Berliner Pflegemutter wieder.

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