Heinrich war kein guter Freund

Während sich die einen am Eigentum von Sara und Richard bereicherten, erfüllten andere Nachbarn und ehemalige Bekannte der nunmehr “evakuierten” Kellermanns ihre Pflicht als gute Nationalsozialisten.

“Heinrich Urban, Berlin S.W. 61, Blücherstr. 63. Berlin, den 1. Juni 1942
Am 10. Februar ds. Js. hat mir Herr Richard Kellermann, Berlin W. Kurfürstendamm, einen verschlossenen Umschlag für wenige Tage zur Aufbewahrung übergeben. Angeblich sollte er Familienpapiere enthalten, die er auf eine kurze Reise nicht mitnehmen wollte. Nach Rückkehr vom Urlaub finde ich jetzt eine Karte aus Warschau von ihm vor, nach der der Umschlag anscheinend Geld enthält. Da es sich um einen abgeschobenen Juden handelt, ist dasselbe auf Grund der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz dem Reich verfallen
Ich bitte um Mitteilung, was mit dem Umschlag zu geschehen hat.
Heil Hitler!”

Schreiben Heinrich Urbans an den Oberfinanzpräsidenten Berlin (Auszug aus der OFP-Akte)
Heinrich Urban tut nur seine Pflicht

Wie aus der Einzahlungsquittung hervorging, hatte Richard seinem vermeintlichen Freund 2500,- Mark anvertraut. Ob und wie dieser für seine Dienste gegenüber der Staatskasse entlohnt wurde, war nicht vermerkt.

Anderes in der Akte zeugte von deutscher Behördenlogik. So wurden Steuern, die die NS-Behörden zur finanziellen Ausplünderung der Juden ersonnen hatte, wie die NS-Reichsfluchtsteuer und die den Juden aufgebürdete Vermögenssteuer, nachträglich aus dem beschlagnahmten Vermögen bezahlt. Ordnungsgemäß entrichtete sie der Oberfinanzpräsident an die zuständigen Finanzämter, so dass sich gewissermaßen der NS-Staat das Geld von der einen in die andere Tasche steckte.

„Dem Reich verfallen“

Am 20. Juli 1942 ging man nicht zuletzt daran, den Immobilienbesitz der Sara Kellermann auf das Deutsche Reich zu überschreiben, dem dieser nunmehr “verfallen” war. Die 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25.11.1941 besagte, dass jeder Jude im Sinne der Nürnberger Gesetze „mit der Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts ins Ausland“ automatisch seine deutsche Staatsangehörigkeit verliere und sein Vermögen dem Staat verfalle.

Es reichte die Deportationsnachricht durch Gestapo oder SD, um umgehend mit Beschlagnahme des Vermögens und der Verwertung des Besitzes zu beginnen. Jedoch versäumte die Behörde des Oberfinanzpräsidenten offenbar, einen solchen Nachweis an das Amtsgericht zu liefern, das die Grundbücher führte, und so zog sich die Überschreibung der Immobilien der Sara Kellermann auf das Dritte Reich in die Länge.

Zwar hatte, wie eine Aktennotiz vom 5. April 1945 berichtete, gegen Kriegsende eines der beiden Häuser “durch Feindeinwirkung Totalschaden erlitten”, allerdings hielt weder dies noch das Ende des Krieges die Behörden davon ab, das Versäumte nicht noch wettzumachen zu wollen. Die Alliierten hatten mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 1 vom 20. September 1945 alle NS-Gesetze aufgehoben, aber in den Amtsstuben saßen auch Ende 1945 noch die selben Beamten, die die restlose Ausplünderung der Juden mit großer Akribie betrieben hatten.

Kontinuitäten

Der nicht namentlich zeichnende Beamte setzte in seinen Entwürfen, die in der Akte enthalten waren, allein dreimal an, um die Umschreibung doch noch zu erreichen. Dabei verfiel er in den gewohnten Duktus und setzte vor den Namen der ärgerlicherweise immer noch als Eigentümerin eingetragenen Sara Kellermann “die Jüdin”, was erst nachträglich gestrichen wurde:

“Magistrat der Stadt Berlin, Finanzabteilung, Generalsteuerdirektion – Vermögensverwaltungsstelle. Berlin W 15, den 28. Nov. 1945, Kurfürstendamm 193/194.
An das Amtsgericht Berlin-Mitte, Grundbuchamt:
Die eingetragene Eigentümerin des oben bezeichneten Grundstücks, die Jüdin Frau Sara Kellermann […] ist im Jahre 1942 zusammen mit ihrem Ehemann Richard Kellermann als deutsche Staatsangehörige aus dem deutschen Reichsgebiet abgeschoben worden. Ein besonderer Feststellungsbescheid gemäss § 8 der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25.11.41 ist in diesen Fällen durch den Chef der Sicherheitspolizei und des SD nicht getroffen worden. Die Feststellung galt durch die von der Geheimen Staatspolizei getroffene Massnahme für die Evakuierung als erbracht. Es besteht daher kein Zweifel daran, dass das Grundstück Reichsvermögen geworden ist. Die nicht erfolgte Umschreibung im Grundbuch ändert daran nichts.”

Dem Amtsgericht platzte nun der Kragen und es antwortete am 12. Dezember 1945:

“In obiger Grundbuchsache kann, nachdem die Nazigesetze aufgehoben sind, eine Eintragung des Deutschen Reichs als Eigentümer nicht mehr erfolgen. Wir stellen zur Rücknahme des Antrages vom 20.VII.1942, in dem die Eintragung des Deutschen Reichs durch den Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg beantragt ist […], eine Frist bis zum 10.1.1946. gez. Blocksdorff, Amtsgerichtsrat.“

Doch so schnell gaben die Vermögensverwerter nicht auf und so gingen noch mehrere Schreiben von beiden Seiten hin und her. Zuletzt ließ die Vermögensverwaltungsstelle des Magistrats, die Nachfolgeinstitution der Oberfinanzdirektion, im Februar 1946 die Angelegenheit “bis auf weiteres ruhen”, behielt sich aber vor, “auf die Sache zurückzukommen”. Als offenkundig wurde, dass Berlin dauerhaft geteilt werden würde, verlor man vermutlich das Interesse – beide Grundstücke lagen im Sowjetischen Sektor Berlins.

„… hier nichts bekannt“

Diese Auskunft erhielt auch Ursula, als sie im Oktober 1950 aus London beim nun “Treuhänder” genannten Oberfinanzpräsidenten nach dem Verbleib ihrer Mutter und deren Vermögen fragte. In schönstem Behördendeutsch teilte man ihr lapidar mit:

“Die Obengenannte ist am 14.4.42 nach Twarnici [sic] bei Lublin deportiert worden. Ueber ihr weiteres Schicksal ist hier nichts bekannt. Sie wird hier unter Aktenzeichen […] geführt. An Vermögenswerten wurden durch den ehemal. Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg eingezogen:
Grundstück Berlin, […]
Grundstück Berlin, […]
Guthaben bei Berliner Stadtbank RM 147,-
Guthaben bei Dtsch. Asiatischer Bank RM 2897,-
[Der falsch verbuchte Betrag für die Eichenmöbel]
Guthaben bei Deutsche Bank RM 28,-
Bargeld RM 2500,-
[Der Umschlag, den Richard Kellermanns Bekannter ablieferte]
Möbelerlös 1145,90 / 41,- / 15,- / 675,-
Bezl. der beiden Gründstücke, die im sowjetischen Besatzungssektor von Berlin liegen, bin ich nicht zuständig. Ich stelle Ihnen anheim, sich an die Deutsche Treuhandstelle zur Verwaltung & Kontrolle des jüdischen und ausländischen Vermögens im sowjetischen Besatzungssektor der Stadt Berlin, Berlin C 2, Dircksenstr. 31, zu wenden. Inwieweit dies zum Erfolg führt, ist mir nicht bekannt, da meines Wissens Bestimmungen über die Regelung von Rückerstattungs- und Wiedergutmachungsansprüchen für den Sowjektsektor noch nicht bestehen. – I.A., Unterschrift”

Was die Adressatin dieser Zeilen dachte, als sie sie las, wissen wir nicht. Ich für meinen Teil hatte das Gefühl, mich inwendig desinfizieren zu müssen, um die Widerwärtigkeiten wegzuspülen, die auf diesen 200 Seiten Verwaltungsdeutsch versammelt waren, dem Inbegriff der von Hannah Arendt so treffend beschriebenen Banalität des Bösen. (23/x)